Eine persönliche Skizze

Markus Roentgen (2011)

Eine persönliche Skizze, hineingeschrieben wie al fresko gemalt in frischen Putz

Nun zurück von den Straßenexerzitien (gerade ein paar Stunden) unter Anleitung von Petra Maria Tollkötter und Christian Herwartz und weiteren 11 begleitenden Frauen und Männern aus ganz Deutschland, die sich sehr engagiert- und hinein gegeben haben – und so auch alle 50 teilnehmenden, anteilnehmenden, anteilgebenden Geschwister – und denen, die darin waren, namenlos zumeist – aber drinnen und da und so DEUS ABSCONDITUS REVELATUS – DA-WEG.

Ich musste den „Orgapart“ ja machen und konnte doch richtig hinein in die Straßenerfahrungen im inneren Beten und im mich bewegen lassen zu mir, zum je-Du, ins WIR der Spannungsklüfte einer reellen mittelgroßen Kreisstadt…

Drei Tage auf Straßen und Plätzen und Einrichtungen Siegburgs beten und da sein, wahrnehmen, sich leiten lassen, wo es hin zieht, möglichst absichtslos, statt zuvor zu steuern – aber mit Morgenimpulsen zum „brennenden Dornbusch, der nicht verbrennt, zur Annäherung mit bloßen Füßen, zum näher hin sehen-gehen, jenseits der Steppe im Kargraum Wüste – wo ist da Befreiendes und Lösung von Knechtung“ (vgl. Ex 3). Losgesandt mit dem (ganz direkten und unmetaphorischen) wortwirklichen Impuls „ohne Geldgürtel…ohne Rucksack gehen .. mit Friedengeist und Friedenswort…“ (vgl. Lk 10, 1-11) – und mit der Emmaus-Gang-Bündelung (vgl. Lk 24, 13-43) als offene Summe ohne Besitzstand.

Bei der Rückkehr ins Haus dann intensives hörend-sprechendes Erzählen, Vernehmen, Begleiten, Deuten ohne Begriff – und Eucharistie – Gottes Dienst mit uns!

Ein junger Erwerbsloser, dem ich von einer privaten Arbeitsvermittlung nach ging, führte mich, ohne mich zu sehen in die Welt von ARGE, Arbeitsamt und AWO – und lies mich Ausgrenzung ahnen.

Ich selbst wurde dort sofort zur Nummer und ohne Anmeldung gibt es Dich nicht wirklich. Sein Gesicht, unsere Augenbegegnung (aufgerissen, wundzartbitter – dieser schöne Schmerzensmann). Ich musste ihn in der Nacht mit schwarzem Wachsstift malen ins Eingedenken meiner selbst als bedürftig – ich habe ihn in mir – mein „DEUS PASSUS“.

Eine Stunde an der S-Bahn-Linie 66 gesessen, bis eine alte Dame mich ansprach und mir in 8 Minuten ihre gütigen Augen schenkte und mich teilhaben ließ an ihrer am nächsten Tag anstehenden Krebsuntersuchung (in 8 Minuten!!!, bis die nächste Bahn kam – „fahren sie nicht mit?“ – „Nein, ich warte noch etwas…“ – dann unser Abschiedswinken, sie drinnen, ich draußen —)

Eine Stunde in der Notambulanz im Krankenhaus und (mit Wartenummer 33 – ) Anteil an der Hingabe einer etwa 15 jährigen unscheinbaren jungen Frau für ihre entstellte Oma, die seit zweieinhalb Stunden mit Atemnot und offenen Beinen und horrendem Übergewicht mit Unschuhklötzen an den Füßen da von Warteschleife zu Warteschleife geschoben wurde – und die stille und zugewandt diskrete Hingabe des jungen Mädchens, kniete vor ihr, „soll ich Dir die Schuhe was aufmachen, Du hast doch bestimmt schlimmen Druck an den Füßen…“; „ach, Sabine, wie gut, dass Du da bist, muss’te nich zurück zur Schule, bis doch schon seit zwei Stunden hier mit mir…“; „ne, lass nur, ich bleib‘ hier, hab‘ auch schon ’nen Kaffee getrunken, komm‘, ich häng Dir die Jacke über, is bequemer so…“

Eine junge Richterin heute im Amtsgericht, wo ich zwei Fälle in öffentlichen Verhandlungen wahrnahm – und die klug, gütig und mit Humor die Streitparteien nebst Anwälten und Anwältin (Anklage und Verteidigung) beide Male zum Vergleich bewegen konnte, statt zum einseitigen Entscheid kommen zu müssen.

Ein Obdachloser, dem ich nachzugehen beschloss an der Frankfurter Straße, mit seinen Plastiktüten; denke, „mal sehen, wo der mich hin bringt?“. Und dann geht er hoch zum Michaelsberg, wo ich her komme, vom Edith-Stein-Exerzitienhaus neben dem Benediktinerkloster, das bald dicht macht. „Na, der wird sich an der Klosterpforte was betteln“, denke ich. Der Mann, schwarze Mütze tief ins Gesicht, unförmig große Brille, kaum ein erkennbares Gesicht, vielleicht um die 50 Jahre; ich bleibe im Torbogen, ja, er geht zum Kloster, kurzes freundliches Gespräch mit einem Benediktiner an der Pforte, bekommt was – und dann dreht der sich und geht die Stufen zur Michaelsklosterkirche hoch und geht da hinein.

„Na, der wird sich da was auspennen“, denke ich…, gehe hinterher, hinein – und da sitzt er in der letzten Reihe, ganz still, aufrecht, ab und zu auch ein bisschen gebückt; ich zwei Meter rechts neben ihm.

Zum Hängekreuz mit der Skulptur des Gekreuzigten überm Altarraum wir beide wie in der Flucht eines spitzen Winkels. Ich entscheide, ich bleibe so lange wie er.

Er bleibt eine volle Stunde, ganz leise, kaum ein Geräusch, bis die Angelusglocke zum Mittag läutet.

Konnte herrlich beten, endlich wieder einmal – mein Herz ging schmerzweit auf; und ein Empfinden, „wer ist von uns (hier im Raum) denn jetzt Jesus, wer der Schächer links, wer der Schächer rechts, wo ist Christus hier, wer, wo ist die messianische Spur – „vestigia dei“?“

Und ich höre mich über Jahre hin, meine Wut: „Bist du nicht der Messias? Rette dich selbst und uns!“ (Lk 23, 39)

Und ich vernehme: „Jeschua, denke an mich, wenn du als König kommst“ (Lk 23, 42)

Und mich durchbrennt, neben und mit dem Mann, der sein Gesicht hinter Brille und Mütze fast maskiert hat, das WORT des Jesus Jeschuah: „Ja! Ich verspreche dir, dass du noch heute mit mir im Paradies sein wirst.“ (Lk 23, 43)

Markus Roentgen, im 47. Lebensjahr

Straßenexerzitien in Siegburg im Januar 2011