Exerzitien in einem finnischen Frauengefängnis

FRAGMENTE DER EXERZITIEN IM FINNISCHEN FRAUENGEFÄNGNIS

von Saku Toiviainen

Ich arbeitete etwa elf Jahre als Gefängnisseelsorger in Helsinki. Schon in dieser Zeit gab es den Traum, dass wir Exerzitien in Gefängnissen haben könnten. Es war nicht möglich. Aber der Traum ist später im Frauengefängnis in Erfüllung gegangen. Marjatta, eine finnische evangelische Pastorin, hat mit mir drei Mal bei 8-tägigen Exerzitien in Hämeenlinna Frauengefängnis begleitet. Jedes Mal gab es mit uns sechs Frauen. Jetzt gibt es eine Pause und niemand weiß, ob es noch weitergeht. Mit großer Dankbarkeit denke ich an die Frauen, mit denen ich diese gemeinsame Zeit verbrachte. Hoffentlich ist es möglich etwas mit den gefangen Frauen mit diesen Fragmenten zu teilen.

  • Sie wohnte früher länger als 20 Jahre vorher in der gleichen Zelle, die wir jetzt als einen Gesprächsraum haben. „Das kann nicht nur ein Zufall sein, sondern ein Zeichen für den Beginn von etwas Neuem“, sagt sie. Wie bemerke ich ein Zeichen von einem Neubeginn in meinem Leben?
  • Täglich läuft sie in einem kleinen, viereckigen Hof, der nur für uns zur Verfügung gestellt ist. Kann sie sich selbst damit erreichen? Wie erreiche ich mich selbst?
  • Beim Ankommen erhält jede Gefangene eine eigene Nummer, die in der ganzen Strafzeit mit dem Familiennamen verbunden wird. Wegen der Nummer haben die Gefangenen oft das Gefühl, ihre eigene Identität zu verlieren. Darum finden die gefangenen Frauen es wichtig, dass wir sie bei Exerzitien mit ihren Vornamen anreden. Mit welchem Namen redet Gott uns an?
  • In der Messe am Abend zündet jede Teilnehmerin ihre eigene Kerze an, die in einem farbigen Becher steht. Die selbstgewählte Farbe des Bechers bringt etwas von der Einzigartigkeit der Teilnehmerin zum Vorschein. Wenn die Kerzen in der Messe brennen, sprechen sie nicht über Gemeinsamkeit, die in der Verschiedenheit möglich ist?
  • Die lebenslängliche Freiheitsstrafe hat sie tief geprägt. Sie definiert sich als Frau, die eine lebenslängliche Freiheitsstrafe hat. „Aber was bist du für dich selbst?“, frage ich. „Danach frage ich auch“, sagt sie. Wer definiert, was ich eigentlich bin?
  • Acht Tage Exerzitien in der Stille im Gefängnis. „Was macht ihr eigentlich in der Abteilung?“ fragt ein Wächter. „Nichts Besonderes. Wir beten, lesen, reflektieren und nehmen an der Messe teil.“ Aber ist das gerade das Besondere im Gefängnis?
  • Jeden Abend betet sie für ihre drei Kinder, die sie umgebracht hat. Hat eine Fürbitte eine Bedeutung auch in meinem Leben?
  • Wegen der siebentätigen Fahrt von Ost-Finnland nach Hämeenlinna hat sie ihre Exerzitien schon eine Woche vor dem offiziellen Anfang begonnen. Sie übernachtete in fünf verschiedenen Zellen bei der Polizei. Auf der Rückfahrt erwartet sie das gleiche. Sprechen diese Bemühungen nicht für ihre Sehnsucht?
  • „Ich nehme eure Abfälle nicht mit. Sie gehören nicht zu mir.“, sagt eine Wächterin. „Zu wem gehören sie? Wohin können wir unsere Abfälle bringen?“ Keine Antwort. Sie zieht eine starke Grenze zwischen uns. Welche Grenze ziehe ich zwischen Menschen?
  • Am letzten Tag zieht sie sich um, um auf das strenge Leben im Gefängnisvorbereitet zu sein. Mir scheint ihre schwarze Kleidung wie eine schutzgebende Mauer. Aber bemerke ich nicht meine eigene Mauer, hinter der ich mich verstecke?