VIELFALT #4:Gewaltfreie Kommunikation – Methoden und Haltungen

Aus der Impulsreihe für Begleiter*innen von Straßenexerzitien von Nadine Sylla, Josef Freise, Maria Jans-Wenstrup, Dorothee Steiof und Elisabeth Kämmerling

Wie im letzten Rundbrief erwähnt, ist die Gewaltfreie Kommunikation sowohl von Methoden und Techniken als auch von Haltungen geprägt, die auch für die Begleitung von Straßenexerzitien wichtig sind und die eingeübt werden können.

Die Methoden und Techniken gehen von folgenden Grundsätzen aus:

– immer bei der berichtenden Person bleiben: Wenn jemand von einer Situation berichtet, ist es verführerisch zu sagen: „Das kenne ich auch.“ Und dann wird schnell eine endlos lange Geschichte erzählt, die aber eine Vertiefung dessen verhindert, was der/die ursprünglich Berichtende zu erzählen begonnen hatte. Für Begleiter*innen ist es eine hohe Kunst, auf Gruppenteilnehmer*innen, die vergleichend und sehr ausführlich eigene Erfahrungen einbringen, wertschätzend zu reagieren und zugleich das Gespräch wieder auf die ursprünglich berichtende Person zurückzuführen.

– keine Wertungen vornehmen: Wenn eine Person berichtet, wie sie aus Wut einen Menschen beschimpft und „fertiggemacht“ hat, dann liegt eine Reaktion nahe wie: „Das geht aber nicht. Das darfst Du so nicht machen.“ Solche Bewertungen vermitteln der entsprechenden Person schnell, dass sie falsch ist. In jeder noch so problematischen Handlung eines Menschen steckt die Suche nach einem Leben in Fülle. Marshall Rosenberg schlägt vor, sich auf diese Suche im Gespräch zu machen. Dazu können Reaktionen helfen wie diese: Wie hast du dich dabei gefühlt? Was denkst du, ist in der Person vorgegangen, auf die Du so reagiert hast?

– nachfragen: Bewertungen kategorisieren, Nachfragen helfen, in die Tiefe zu kommen. Durch das Fragen erhält nicht nur der Fragende neue Erkenntnisse, auch die befragte Person kann sich selber so intensiver auf die Spur kommen.

– paraphrasieren: Die Paraphrase ist die Wiedergabe mit eigenen Worten – und mit dem eigenen Wertesystem. Es wird nicht einfach wiederholt, was die betreffende Person gesagt hat. Es wird auf die Gefühle und Bedürfnisse der Person abgehoben. Eventuell geäußerte Vorwürfe, Abwertungen und diskriminierende Äußerungen werden „überhört“ oder es wird kurz gesagt, dass sich diese Äußerung vielleicht jemanden verletzt fühlen könnte. „Aber jetzt geht es um Dich…“

– Pausen zulassen: Die gewaltfreie Kommunikation und auch die Gespräche in Straßenexerzitien sind nicht in erster Linie lösungs- und ergebnisorientiert. Es geht zunächst einmal um das Wahrnehmen und Annehmen der Realität so, wie sie ist, und dann um Veränderungen in der Tiefe der Person. Papst Franziskus hat bei den Plenarsitzungen auf der Jugendsynode und der Amazonassynode in Rom immer wieder auf Pausen gedrungen – im Schweigen und im Singen eines Liedes. Pausen reinigen die Luft; Gefühle können sich sortieren; ich kann in mich gehen und spüren, was mich gerade „getriggert“ hat. Dann muss ich mein Gegenüber nicht verantwortlich für meine Gefühle machen. Diese kontemplative Methode führt uns zu den Haltungen.

Haltungen: Marshall Rosenberg war von Carl Rogers und dessen personenzentrierten Gesprächsführung geprägt, die von den Grundhaltungen der Kongruenz (Echtheit, Unverfälschtheit), der Empathie (der nicht wertenden Einfühlung) und der bedingungslosen positiven Zuwendung ausgeht. Ein wichtiger Aspekt bei Rosenberg ist die Verbindung zwischen Selbstsorge und Dasein für mein Gegenüber. Wenn ich meine eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrgenommen und angenommen habe, kann ich besser von mir absehen und ganz beim Gegenüber sein. Sich selber annehmen und loslassen zu können – dazu helfen Achtsamkeitsübungen, Meditation, inneres Schweigen und das kontemplative Beten.

VIELFALT #2: Identität und Vielfalt

Aus der Impulsreihe für Begleiter*innen von Straßenexerzitien von Nadine Sylla, Josef Freise, Maria Jans-Wenstrup, Dorothee Steiof und Elisabeth Kämmerling

Wer bist du? Was macht dich aus? Nimm dir einige Minuten Zeit: Welche Eigenschaften, Merkmale kommen dir spontan in den Sinn? Welche Eigenschaften /Merkmale sind dir besonders wichtig –welche eher unwichtig? Wenn du dir jetzt vorstellst: Bei der Arbeit, beim Begleiten der Straßenexerzitien, auf der Straße –welche Facetten von dir stehen für die Menschen, die dir begegnen, im Vordergrund? Welche Aspekte von dir kommen gar nicht in den Blick?Wir können nicht anders –wir nehmen Menschen immer aus einer bestimmten Perspektive wahr –wir „reduzieren“ Menschen auf ein „Set“ von Merkmalen: Der Gastarbeiter, die Muslima, der Obdachlose, da kam eine Frau mit Kopftuch, mein homosexuellerKollege …Und doch haben wir alle die tiefe Sehnsucht, in unserer Ganzheit und Komplexität wahrgenommen zu werden. Wir merken, wie fließend und veränderlich unsere eigene Identität ist. Wir wollen als einzigartige und vielschichtige Personen wahrgenommen werden und nicht nur als Repräsentant*in einer „Gruppe“. Und wir wollen selbst bestimmen, was unsere Identität ausmacht. Kübra Gümüsay veranschaulicht dies in ihrem Buch „Sprache und Sein“ (Berlin, 2020) am Beispiel Kopftuch:„Auf kein Attribut werden muslimische Frauen derart reduziert wie auf dieses Kleidungsstück. Sie werden sogar danach benannt: Kopftuchträgerin. Ein Leben als wandelnde Informationssäule einer Religion und allem, was damit assoziiert wird, lässt sich kaum aushalten. Trotzdem ist es das Leben, das so viele Musliminnen in unserer Gesellschaft führen. (…) Sie werden nicht als Menschen wahrgenommen, sondern als Pressesprecherinnen ihrer Religion. Sie werden mit ihrem Glauben vorgestellt –weil sie so lange der Inspektion ausgesetzt waren, dass ihnen das Bewusstsein ihrer eigenen Individualität, Ambiguität, Komplexität verlorengeht. Dass sie vereinnahmt werden von der Perspektive der anderen.“(S. 72-73)„Die Dichterin Anja Saleh hat mir dazu einmal Folgendes gesagt: Man kann nicht alles verstehen. Ich verstehe auch nicht, warum Leute bergsteigen. Ich muss es auch nicht unbedingt verstehen. Und ich glaube, genau darin liegt die Kunst: Menschen nicht zu drängen, ihnen Dinge so verständlich zu machen, dass sie es auf sich übertragen können. Wenn jemand verstehen möchte, warum ich ein Kopftuch trage, dann denke ich mir: Da ist so viel im Hin-tergrund. Du kannst das nicht einfach verstehen, denn da steht ein Prozess, ein Leben dahinter: Wie willst du das verstehen? Versuchen Sie mal, sich selbst einem anderen Menschen verständlich zu machen. Ihre ganze Person, Ihre Widersprüchlichkeiten, Ihre Entwicklung, Ihre Ängste, Ihre Hoffnungen, Ihre Wünsche. Und stellen Sie sich vor, Sie müssten es immer wieder tun, täglich. Es ist erniedrigend. Erschöpfend. Beraubend.“(S. 73-74).

Wenn ihr Feuergefangen habt, findet ihr hier noch zwei Filmtipps:

Ted Talk von Chimamanda Adichie: The danger of a single story (19 Min) https://www.youtube.com/watch?v=D9Ihs241zeg

All that we share (3 Min)https://www.youtube.com/watch?v=i1AjvFjVXUg&vl=de

Stefan Burtscher: Trailer meiner Straßenexerzitien – Mein brennender Dornbusch in Köln

Freitagabend: Köln Melanchthonakademie: Da wohnt ein Sehnen tief in uns

Moses weidet die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters, er geht über die Steppe hinaus in die Wüste. Er bleibt stehen, er blickt zurück, er blickt nach vorne. Ich mache das gleiche. Ich blicke zurück. Wo komme ich her, wer bin ich? Ich bin glücklich, ich bin privilegiert, ich darf in Frieden und Sicherheit leben. Ich bin dankbar dafür. Ich bin geliebt, ich bin begleitet. Ich bin dankbar dafür. Ich blicke nach vorne: Worin liegt meine Sehnsucht? Ich will versuchen nachempfinden zu können, wie es Menschen geht, die meine Privilegien nicht haben, die sich am untersten Ende der Gesellschaft wiederfinden.

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Gott läßt sich nicht verstrukturieren

 

Christian Herwartz ist dafür bekannt, dass er vieles auf sich zukommen lässt, vieles spontan tut und entscheidet. Er selber würde wohl dazu sagen: „sich von Gott in jeder Situation beschenken“ lässt. Von diesem Geist sind auch die Straßenexerzitien sehr geprägt. Da stellt es natürlich eine besondere Herausforderung dar, wenn es Gruppen gibt, die klare Formen und Strukturen einfordern. Ein Erfahrungsbericht: „Gott läßt sich nicht verstrukturieren“ weiterlesen