David: Die weitreichenden Folgen einer Begegnung

Die weitreichenden Folgen einer Begegnung Knapp 15 amerikanische Studierende der Landschaftsarchitektur sitzen in einem Raum und lauschen gespannt und leicht irritiert den Ausführungen und Ideen eines wohnungslosen Deutschen. Wie kommt es zu der überraschenden Szene? Um dies zu verstehen müssen wir knapp drei Monate in der Zeit zurückgehen.

Ich bin David und im Sommer nehme ich an Straßenexerzitien, in der Kirche der Obdachlosenseelsorge in Köln teil. Diese finden direkt vor meiner neuen Tätigkeit als Honorardozent für amerikanische Studierende statt. Als Landschaftsarchitekt arbeite ich inzwischen seit 15 Jahren, als Dozent habe ich auch schon mehrfach gearbeitet. Diese Exerzitien gönne ich mir als Auszeit vor dem spannenden neuen Projekt.

Die Exerzitien sind anstrengend, aber sie tun mir auch gut. Während dieser Zeit lerne ich Lothar einen Kölner Wohnungslosen kennen und schätzen. Wir sind ein einer Austauschrunde und sind uns sympathisch.

Die Exerzitien vergehen und meine neue Tätigkeit beginnt. Die Studierenden sollen unter anderem drei Spezialkonzepte für einen Platz erstellen, eines der Themen ist die Gestaltung bei einem hohen Nutzerdruck, also möglichst viele menschliche Interessen zu erfüllen. Die Arbeit geht gut voran.

Nach einigen Wochen bin ich das erste Mal wieder in der Innenstadt (in der ich eher selten bin) und gehe an Lothars Platz vorbei. Er ist da und ich setze mich zu ihm. Wir erzählen, wie es uns ergangen ist. Ich erzähle von den Studierenden, Lothar erzählt von einer Stadtführung, die er gegeben hat. Da habe ich eine Idee. Statt mit den Studierenden über mögliche Nutzungen durch Menschen, wie zum Beispiel Lothar, zu sprechen, könnte man Lothar selber fragen und einladen. So frage ich ihn, ob er kommen und uns etwas drüber erzählen würde, wie seiner Meinung nach ein guter Platz aussehen müsste. Lothar stimmt sofort zu.

Zwei Wochen später sitzt er vor den Studierenden, zeichnet auf dem Smartbord und erklärt Ideen und Ansichten. Da sein Englisch im üblichen Mittelfeld liegt, übersetzt eine Angestellte der Akademie für ihn. Zuerst trauen sich die Studierenden kaum Fragen zu stellen. Beide Seiten sind ein wenig vorsichtig. Nach einiger Zeit fällt es leichter. Die Studierenden fragen Lothar zu seinem Konzept, zu den Bedürfnissen und Wünschen von Menschen auf der Straße. Eine Vorsicht auf Grund der unbekannten Situation ist noch immer da, aber auch eine Kommunikation auf Augenhöhe mit Wertschätzung.​

Für die Studierenden war es eine außergewöhnliche Erfahrung. Sie wirken bewegt und auch nach-denklich. Den restlichen heutigen Tag kam das Thema immer wieder auf. Konzepte wurden umgeändert und ergänzt. Als Lothar nach seinem Vortrag geht habe ich den Eindruck, auch er ist zufrieden und erfüllt. Wenn ich ihn demnächst wieder besuche, werde ich es ihn fragen. Und wer weiß, vielleicht erzählt er den Studierenden im nächsten oder übernächsten Semester ja wieder etwas.