Dora Maria Teidelt, „Gott, der im Dornbusch wohnt …“

Exodus 3,1-15 (ev.: l.S.n.Epiph.) mit Dtn 33,16)

1. Moses Alltag:

Die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro hüten. Morgens raus in die Steppe, abends wieder zurück. Den ganzen Tag auf den Beinen, wie die Tiere.

Und Zeit haben. Mose bewegt sich im Tempo der Tiere. Und die bleiben immer wieder für eine längere oder kürzere Weile stehen. Dann setzt er sich auf einen Stein und – ja, was machen Hirten dann (bis heute)? So viele Stunden am Tag?

Sie dösen oder beobachten die Tiere oder die Gegend. Sie denken über dies und das nach, beobachten die Natur. Vielleicht träumen sie manchmal auch von der Zukunft. So ist das Tag für Tag bei Mose.

Moses Dornbusch-Erlebnis

Unser Bibeltext schildert einen besonderen Tag. Er fängt an wie immer: Mose zieht los, ein bisschen weiter raus als sonst gewohnt: „über die Steppe hinaus“(V.1). Hinein in die Wüste zum „Berg Gottes, Horeb“(ebd.) Der Name „Horeb“ kommt häufig vor im AT; er ist für den kundigen Hörer ein Hinweis: hier ist Gott nicht weit. Aber der Reihe nach.

In der Wüste ist es noch karger als in der Steppe, da gibt’s kaum noch Vegetation, dafür viele Steine und viel Sonne. Da fällt dem Mose ein Dornbusch auf, der brennt. Und obwohl an so einem Dornbusch ja nicht viel dran ist, was brennt, verbrennt er nicht. Mose schaut und schaut. Immer wieder muss er da hinschauen. Merkwürdig. Dieser Dornbusch beginnt ihn zu interessieren, er bindet seine Aufmerksamkeit Er geht näher. Als er den Busch fast erreicht hat, hält er inne. Jemand ruft seinen Namen: „Mose, Mose!“ Er bleibt stehen und antwortet: „Hier bin ich“ (V.4).

Jetzt steht Mose vor Gott. Denn das Feuer im Dornbusch – der Hörer weiß es eher als Mose – ist „der Engel des Herrn“ (V.2). „Gott, der im Dornbusch wohnt …“(Dtn 33,16). Jetzt geht es nicht mehr um das Feuer, das sich nicht verzehrt, jetzt geht es um das Gegenüber von Gott und Mose. Der Dornbusch ist das „Medium“, durch das Gott in Moses Leben tritt. Es dauert, bis Mose begreift. Der brennende Dornbusch bringt Mose dazu, aufzumerken, näher zu kommen (und alles hinter sich zu lassen für eine Zeit), stehen zu bleiben – „tritt nicht näher! „(V.5) – und zu verweilen. Zu hören, was Gott sagt.

Zunächst: seinen Namen, „Jahwe“ – zu deutsch: „Ich bin da“ (V.14). Ich bin für dich da – immer! Ich bin gegenwärtig – so wie jetzt, in diesem Augenblick an diesem Dornbusch. Tag für Tag. Und dann: „Ich habe das Elend meines Volkes gesehen und das Schreien der Unterdrückten gehört … Ich werde sie in ein Land bringen, wo Milch und Honig fließen“(V. 7f). Hier an diesem Dornbusch sagt Jahwe dem Mose zu, dass er die Israeliten in die Freiheit führen und auf diesem Weg begleiten will. Aus der Knechtschaft heraus. Und Mose muss sich nicht länger verstecken. (Denn nachdem er einen ägyptischen Aufseher erschlagen hatte, der einen Israeliten verprügelt hatte, war er geflohen. In der Fremde hatte er geheiratet und in Midian eine Bleibe gefunden.) Alles Elend wird sich wenden.

Mose „zieht seine Schuhe aus“, weil er spürt: „dieser Ort, wo er steht, ist heiliger Boden“(V.5). Soweit die Geschichte des Mose [Das Gespräch zwischen Gott und Mose geht noch weiter. Am Ende tut Mose, was Gott ihm aufträgt: die Israeliten herausführen. Und er „ging hin“, aus der Wüste zurück zu seinem Schwiegervater Jitro (4,18), in seinen Alltag].

2. Mein „Alltag“ in Berlin

Mein Leben ist sicher anders als das des Mose. Und doch … Ich möchte Ihnen noch einmal erzählen von meiner Zeit in Berlin. Tag für Tag bin ich durch Kreuzberg gelaufen: fremd – nicht wegen der unbekannten Straßen, sondern weil es so anders war als sonst (so ohne Geld, mitten zwischen so vielen Türken und Menschen, die auf der Straße leben); ziellos, ohne Aufgabe, ohne festen Tagesablauf, zuweilen mit „Langeweile“, von mir selbst verdonnert zum „dadurch“. Ich hatte viel Zeit, die ich zubringen „musste“. Ich kannte ja niemanden, war allein (trotz der vielen Menschen) – wie Mose in der Wüste.

Mein „Dornbusch-Erlebnis“

Auch ich hatte so etwas wie ein „Dornbusch-Erlebnis“ Ich hatte die ganze Zeit im Hinterkopf, wie ich es wohl anstellen könnte, mit den Menschen von der Straße in Kontakt zu kommen. Meine Vorstellung war: die reden gar nicht mit so einer „Etablierten“ wie mir. Tagelang dachte ich: das wird nie etwas! Nach etlichen Tagen der „Dürre“ war eines Tages am Kottbusser Tor eine Bank frei, auf der ich mich mit hochgezogenen Schultern niederließ – sozusagen „mittendrin“. Mir war nicht wohl – weder beim Hinsetzen noch im Da-Sitzen. Bis ich einen Zettel am Baum in 5m Entfernung sah. Ich versuchte, ihn aus der Ferne zu entziffern. Ich schaute und schaute: „Wir trauern um dich, liebe Ute“. Unten drunter einige Namen und gemalte Blümchen.

Das hat mich angerührt: zum einen das Schicksal dieser mir unbekannten Ute, die Fantasie, dass sie ziemlich elend und womöglich einsam auf der Straße verreckt ist; zum andern, dass da Freunde sind, denen es wichtig ist, ihrer Betroffenheit über Utes Tod Ausdruck zu geben.

Und ein drittes hat mich angerührt: ein junger Mann kam, las den Zettel; noch mal und noch mal …, tastete seine Kleidung ab, verschwand, kam nach einer ganzen Weile wieder – und hatte sich einen Kuli besorgt. Mit dem schrieb er seinen Namen (und den seines Hundes) zu den anderen auf den Zettel.

Und ein viertes kam hinzu: zwei junge Männer, die auf der Bank nebenan saßen, gingen zu dem Baum und lasen den Zettel. Ich habe mir ein Herz gefasst und sie angesprochen: ob sie diese Ute gekannt hätten. Sie kannten sie nicht, aber – wir kamen miteinander ins Gespräch!!! Einer von ihnen hat mich zwar angehauen: „Ham se mal’n Euro für mich?“ Ich hatte nicht und erklärte ihm warum (soziales Experiment, ohne Geld unterwegs). Worauf sein Kumpel sagte: „Um halb fünf kommt die Heilsarmee. Die bringen heiße Suppe und Tee und Kaffee – umsonst!“

Die beiden ließen mich mehr in ihr Leben hinein als ich sie in meines! Spätestens ihr Mit-mir-Teilen, ihre Gastfreundschaft ließen mir – auch wenn ich Mühe hatte, sie anzunehmen – deutlich werden, dass hier „heiliger Boden“ war! Die Schuhe hat’s mir von allein ausgezogen … Obwohl dieses Praktikum schon 4 Wochen her ist, bewegt es mich noch immer. Irgendwie hatten diese Stunden da am Kottbusser Tor für mich etwas von „Dornbusch“ an sich. Und adventlich kamen sie mir auch vor: jenseits von meinem gewohnten Alltag (als Pastorin in Hagen; den hatte ich hinter mir gelassen) warten, an den richtigen Platz geraten, innehalten, noch mal und noch mal schauen – und dann etwas hören, was irgendwie aus einer „anderen Welt“ kommt, der ich mit meinem Verstand nicht beikommen kann. Was ins Herz trifft.

3. „Dornbusch-Erfahrungen“ in Ihrem Leben

Sie werden jetzt vielleicht antworten: „So was gibt’s bei mir nicht! Ich hätte nichts dagegen, aber…“ Die Sehnsucht gibt’s schon. Die Frage ist: Wie komm ich dahin? Diese Sehnsucht und diese Frage sind sehr adventlich. Und ein guter Anfang.

Im Advent geht’s ums Offenwerden für Erfahrungen jenseits von unserem gewohnten Alltag. Die meisten von uns sind wenig geübt darin, sich einzulassen auf Situationen, die sie nicht geplant oder kalkuliert haben, auch nicht planen können. Und doch kann da – vielleicht gerade da – Gott „drinstecken“.

Advent ist wie eine Einladung, uns immer wieder auf die Möglichkeit von „Dornbüschen“ einzustellen, mit ihnen zu „rechnen“; damit, dass der Ich-bin-da Anteil nimmt an unserem Leben und „all unsre Not zum Ende bringt“. Der ‚Dornbusch‘ – ein Bild für den Alltag – des Mose und unseren. Der Dornbusch – ein Symbol für die Stimme Gottes, die uns anspricht mitten in unserem Alltag. Der Dornbusch – ein „Merk-zeichen“: innezuhalten, stehen zu bleiben, hinzuschauen – vielleicht wahrzunehmen: Hier ist Gott mein Gegenüber.

[Abraham oder Jakob hätten an der Stelle des brennenden Dornbuschs wahrscheinlich einen Altar gebaut (Beth-El = „hier ist ein Ort Gottes – und ich habe es nicht gewusst!“).] „Gott, der im Dornbusch wohnt“… Lassen Sie mich diesen „Dornbusch“ zum Adventskranz auf den Altar legen.