Gottesdienste auf der Straße

Erfahrungen von zwei Gottesdiensten auf der Straße

Von zwei Gottesdiensten während Straßenexerzitien berichten Elisabeth Steiff, Martina Fröhlinger, Christian Herwartz, Nadine Gatzweiler

Gottesdienst zu Gefangensein und Befreiung an einem ehemaligen Frauengefängnis

Bei der Gottesdienstvorbereitung begleitete uns das Thema „Befreiung“. Was lag näher als Ort dafür ein Gefängnis zu wählen?! Angewärmt war dieser Ort durch einen Teilnehmer, der am Tag vorher mit einem Audioguide auf den Spuren eines ehemaligen Frauengefängnisses war. In der anderen Austauschgruppe war das Thema „Respekt“ virulent. So konnten wir beides miteinander verbinden.

Mit einer kurzen Statio begannen wir, um für den Weg dorthin aufmerksam und ausgerichtet zu sein. Die Leitfrage lautete: Mit welchem Ziel bin ich auf dem Weg zu einem Gefängnis? Welche Schuhe möchte ich ausziehen? Die Schuhe der Distanz, der Ausgrenzung, des Besser Wissens, der Verachtung, der Überheblichkeit usw. jeder und jede möge eigene Konkretisierungen für sein Leben finden.

In einem gemeinsamen Gang, die Entfernung betrug etwa 15 min, erreichten wir einen hellblauen Streifen auf dem Boden, der den Weg zum Gefängnis weist. Dort waren Zitate von ehemaligen Insassinnen auf den Boden geschrieben, die verschiedene Empfindungen und Erfahrungen widerspiegeln:

„Da ist nachts, sie wollen schlafen, dann hören Sie wie jemand fürchterlich schreit“ – „Naja, die Frauen schreien“ –  „Ich hab so fest dran geglaubt“ –  „Sie ist leichtsinnig, dass sie sich so dafür einsetzt“ – „Das würde sich ja ausbreiten“ – „wenn man alles weiß und trotzdem nichts macht.“

An der Gedenktafel angekommen, standen wir vor einem eingezäunten Gelände, das heute ein Verkehrsübungsplatz für Kinder ist. Von dem Gefängnis steht kein Stein mehr. Vielleicht gerade gut. Somit konnte die Geschichte eines jeden Einzelnen mehr an Bedeutung gewinnen. Dieses Gefängnis gab es von 1864 bis 1972. In fünf verschiedenen Regimen wurden ausreichend Gründe gefunden, Frauen, die anders waren oder andere Meinung waren, hier einzusperren. Auch Rosa Luxemburg war  dort eingesperrt und zu DDR-Zeiten wurde ihre Zelle als Gedenkraum mit frischen Blumen versehen. Die Widersprüchlichkeit war ein großes Thema, ebenso der Umgang mit schwangeren Gefangenen inklusive Entbindungsstation.

Um uns zu ermöglichen, unsere eigene Lebenssituation mit diesem Ort zu verbinden und unsere eigenen Mauern zu spüren, wählten wir die biblische Geschichte von Zachäus: Wo spüre ich das Gefängnis in mir? Wo versuche ich auszubrechen und gebe meiner Sehnsucht nach? Wo erfahre ich Befreiung? Zachäus begegnet uns als der Privilegierte, der Macht hat und gerade darum von der Gemeinschaft ausgeschlossen und gemieden wird. Sein Leben im Reichtum macht ihn jedoch nicht wirklich satt. Darum sucht er die Nähe zu Jesus. Um dorthin zu gelangen, nützen ihm seine Privilegien nichts, es gibt keine Logenplätze für Reiche auf der Straße und so wird er aktiv und sucht sich einen Ort, der ihn gleichzeitig vor den Blicken der anderen verbirgt. Mit seiner brennenden Sehnsucht in einer Art Versteck sitzend, wird er von Jesus gesehen und erhält die Zusage, dass er ihn als Gast empfangen darf. Wo begegnet uns Jesus und lädt sich bei uns ein?

Es war bestimmt kein Zufall, dass gerade in diesem Augenblick jemand mit Schlüssel kam, um uns Zugang zu dem Gelände zu ermöglichen. Mit den Anregungen der Bibelstelle schritt jede und jeder Teilnehmende das Gelände in Stille auf die je eigene Weise ab, manch einer legte sich sogar auf den Boden. Nach dem gemeinsamen Lied „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“ mündete die persönliche Zeit im gemeinsamen Fürbittgebet im Kreis stehend.

Sich gemeinsam als Exerzitiengruppe auf die Straße zu machen, war für viele nach einem vollen Tag eine gewisse Herausforderung; für viele wirkte das Erlebnis noch nach und sie nahmen das Thema im Austausch und am nächsten Tag auf der Straße nochmal auf.

Gottesdienst zum Körper als heiliger Tempel auf dem Spielplatz

Während der Begleitung der vorausgegangenen Tage hatten wir gespürt, dass viele Teilnehmer/-innen das Thema „Körper- Sexualität“ beschäftigte; auch eine Missbrauchserfahrung war angesprochen worden. Deshalb beschlossen wir, den Körper als heiligen Boden zum Thema des Gottesdienstes zu machen und seine Schönheit der Körperfeindlichkeit, wie sie viele TeilnehmerInnen in der katholischen Kirche immer wieder wahrnehmen, gegenüberzustellen.

Nach einer Einführung in das Thema im Garten der Unterkunft lasen wir dort Jes 43,4

„Weil du so wert bist vor meinen Augen, geachtet, musst du auch herrlich sein, und ich habe dich lieb; darum gebe ich Menschen an deine Statt und Völker für deine Seele.“

Dann gingen wir gemeinsam auf den Kinderspielplatz in der angrenzenden Grünanlage. Dort ließen wir uns auf den Steinen, die den Sandkasten begrenzten, bzw. im Sand selbst nieder. Als Antwort beteten wir gemeinsam Auszüge aus Psalm 139 wie zum Beispiel die Verse 13-15:

„Denn du hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter. Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke. Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, waren meine Glieder dir nicht verborgen.“

Als Evangelium hatten wir Mt 21,12-17 (Jesus reinigt den Tempel) ausgewählt. Ausgehend von der Idee, dass unser Körper Tempel Gottes ist, fragten wir nach dem, was wir „rauswerfen“, wozu wir Nein sagen müssen, um unseren Körper respektieren und seine Würde achten zu können. Dazu gehören neben krankmachenden Gewohnheiten/Süchten auch alle Vorstellungen, die den Körper als eine Art „Ware“ ansehen. Jesus sagt, dass der Tempel ein Ort des Gebetes sein soll – und so ist unser Körper ein Ort der Begegnung mit Gott, weil er uns über die Sinne die Erfahrung seiner Gegenwart ermöglicht. Gleichzeitig schafft er z.B. über den Atem eine enge Verbindung zu der uns umgebenden Welt, die wir mit allen Lebewesen teilen. Darüber hinaus kann nur über das Einswerden zweier Körper neues Leben entstehen.

Diesen Gedanken folgte ein intensiver und persönlicher Austausch der TeilnehmerInnen über die (Un-) Fähigkeit, den eigenen Körper so anzunehmen, wie er uns gegeben wurde oder sich z.B. durch Alter, Krankheit etc. verändert.

Nach der Tempelreinigung heilt Jesus im Tempel Blinde und Lahme. An anderer Stelle heilte Jesus einen Blinden, dem er einen Brei aus Spucke und Erde auf die Augen strich. Als Zeichen für dieses Heilwerden und unsere Verbundenheit mit dem Körper der Erde strichen wir uns gegenseitig (nach entsprechender Rückfrage) etwas Brei aus Wasser und dem Sand, in  und vor dem wir saßen, auf verschiedene Körperstellen. Mit dem Vaterunser schlossen wir den Gottesdienst ab, der bei einigen Teilnehmenden noch intensiv in die Austauschrunde einbezogen wurde. Auch die Schaukeln konnten im Anschluss noch ausprobiert werden.

Es war sehr fruchtbar, die Themen, die in der Gruppe da waren im Gottesdienst aufzugreifen, ja vielmehr noch davon auszugehen und dann einen Ort und eine Bibelstelle dazu zu suchen. Die Teilnehmenden hat das sehr berührt und auch wir konnten uns noch einmal intensiver den Themen nähern. Ein weiterer Aspekt, der dafür spricht, Gottesdienste auf der Straße zu machen, ist in der Unplanbarkeit und Offenheit des Tages zu bleiben, sich aber gemeinsam auf den Weg zu machen und so auch ein gemeinsames Thema und eine Mitte zu finden.